Im März wurdest du zum Direktkandidaten zur Bundestagswahl im Wahlkreis 2 gewählt. Was hat dich zu dieser Kandidatur motiviert?
Ich bin in Husum aufgewachsen, hab anschließend in Hamburg und Kiel gelebt, aber schon Mitte der 1980er Jahre das Geburtshaus meiner Mutter in Witzwort übernommen, in dem ich seit 2013 wieder lebe. Das heißt, ich kenne die sozialen und kulturellen Verhältnisse bei uns sehr gut und habe genau wahrgenommen wie sich die wirtschaftlichen Verhältnisse nach den Umbrüchen in der Landwirtschaft seit den 1960er Jahren und mit der Entwicklung des Tourismus und dem Boom in der Windkraft in den letzten Jahrzehnten an der Westküste verändert haben. Als ich im Herbst gefragt wurde, ob ich für unsere Partei für den Bundestag kandidieren wolle, habe ich das zuerst mit meiner Frau und meinen erwachsenen Töchtern besprochen. Denn ich weiß aus meiner Tätigkeit als Geschäftsführer beim Landesjugendring in Kiel, dass politische Arbeit genauso wie Verbandsarbeit immer auch für die Familie herausfordernd ist. Am Ende habe ich mich für die Kandidatur entschieden, weil ich mich immer im Ehrenamt und im Beruf – die meisten Jahre in der Jugendpolitik für andere Menschen eingesetzt habe. Und jetzt möchte ich für unseren Wahlkreis im Bundestag etwas erreichen.
Was für ein Mensch ist Jens Peter Jensen, wie würdest du dich selbst beschreiben?
Das ist eine schwierige Frage. Wenn es um persönliche Eigenschaften geht bin ich offen, interessiert, bodenständig und sozial. Wirtschaftliche, politische und kulturelle Fragen beschäftigen mich seit meiner Jugend. Schon als Schulsprecher habe ich gelernt mich für die Interessen meiner Mitschülerinnen und Mitschüler einzusetzen. Ich bin nicht auf Harmonie gebürstet, aber ich suche im Konkreten nach einem Ausgleich auch unterschiedlicher Interessen. Viele Dinge setzen sich bei mir erst im Gespräch oder beim Lesen, z. B. beim Zeitungslesen zusammen. Ich gehe gern ins Kino, ins Theater, in Kunstaustellungen und im Sommer mit meiner Frau in Everschopsiel zum Baden in die Nordsee. Wenn das nicht möglich ist gehen wir am Deich oder manchmal in St. Peter, Büsum oder im wilden Moor im Treenetal spazieren. Wenn sich die Gelegenheit ergibt spreche ich auch gern Plattdeutsch und der 21. Februar ist für das Bikebrennen, wenn es geht in Hörnum auf Sylt, reserviert.
Eine ganze Wahlperiode ist der Wahlkreis Nordfriesland/ Dithmarschen Nord jetzt ohne eigenen SPD – Bundestagsabgeordneten. Wie wichtig wäre eine solche regionale Repräsentanz im Bundestag für die Region?
Dass die SPD in der letzten Legislaturperiode nicht mit einem Bundestagsabgeordneten aus unserem Wahlkreis vertreten war, habe ich als Verlust empfunden. Uns hat eine hörbare Stimme für sozialdemokratische Politik nicht nur in Berlin, sondern auch im Wahlkreis Nordfriesland und Dithmarschen–Nord gefehlt. Unsere Interessen als Region für erneuerbare Energien und Tourismus müssen im Bundestag deutlicher zum Tragen gebracht werden.
Betätigungsfelder für Nordfriesland und Dithmarschen bieten sich ja genug. Gerade im Bereich der Infrastruktur gibt es genügend Baustellen auf denen die CDU Abgeordnete des Wahlkreises eher durch Untätigkeit aufgefallen ist. Was hat sich aus deiner Sicht in der vergangenen Wahlperiode getan, was müsste dringend angefasst werden?
Was sich an der Westküste getan hat ist die Tatsache, dass die Bundesbahn gerade dabei ist, rund 160 Millionen Euro in die Unterhaltung des Schienennetzes der Marschbahn zu investieren. Auch die Planungen für den Ausbau der Zweigleisigkeit zwischen Niebüll und Klanxbüll sind angelaufen. Für diese Maßnahme hat sich besonders der SPD-Abgeordnete Mathias Stein aus Kiel eingesetzt. Ich halte den Ausbau der Marschbahn mit einer Elektrifizierung von Itzehoe nach Westerland für außerordentlich wichtig, dazu gehört natürlich auch, dass die Eiderbrücke bei Friedrichstadt, die Abschnitte Husum – Husum-Nord und die Strecke von Hattstedt nach Bredstedt zweigleisig werden, damit die Streckengeschwindigkeit erhöht werden kann. Auch die Strecke Niebüll – Tondern muss weiter aufgewertet werden. Das sind nur einige Beispiele für den Bereich Schienenverkehr, zu denen auch die Wiedereröffnung früherer Haltepunkte Hattstedt, Marschbahn, aber auch Ohrstedt-Bahnhof mit Schienenkreuzung und Ahrenviölfeld zu zählen wären.
Beim B 5 Ausbau geht es vor allem um die Hinterlandanbindungen bezogen auf die Auf- und Abfahrten, die beim Ausbau in Witzwort und Oldenswort neu errichtet werden. Hier können wir sehr gut sehen, wie Bundes-, Landes- und Kommunalpolitik zusammenspielen müssen, um für ihre Bürgerinnen und Bürger vernünftige Lösungen für eine gute Anbindung an die neue dreistreifige B 5 zu erreichen. Wenn nämlich zwischen Husum und Witzwort im Zuge des B 5 Ausbaus sechs Auf- und Abfahrten wegfallen, also geschlossen werden, bedeutet das eine erhebliche Zunahme des Verkehrs auf den verbleibenden Zufahrtsstraßen zur B 5. Die Zufahrt L 32 zur Meierei Witzwort ist nur eine offene Frage, die nächste Frage wird sein, wie der Schwerlastverkehr die Dorfstraße Witzwort passieren soll. Da bedarf es sicherlich des Baus einer geeigneten Umgehung für Witzwort.
Zwei weitere große Themen sind die Fortsetzung des Baus der A 20 bis nach Niedersachsen mit einer Elbquerung bei Glückstadt, um die Ost-West-Verbindungen im Land zu verbessern und Maßnahmen zur besseren Unterhaltung des Nord-Ostsee-Kanals, was ja auch eine Bundesangelegenheit ist, die die letzten aus Bayern stammenden Bundesverkehrsminister sträflich vernachlässigt haben.
Daseinsvorsorge ist ebenfalls ein Thema im Wahlkreis. Die Finanzierung der Krankenhäuser, die ärztliche Versorgung im ländlichen Raum sind nur ein paar der Herausforderungen, vor denen wir stehen. Welche Möglichkeiten siehst du um die Lebensbedingungen der Menschen im Wahlkreis zu verbessern und den sozialen Zusammenhalt zu stärken?
Die Bürgerinnen und Bürger wünschen sich zu Recht eine leistungsfähige Gesundheitsversorgung. Gut ist, dass wir mit dem Westküstenklinikum in Dithmarschen und dem Klinikum Nordfriesland Krankenhäuser in kommunaler Trägerschaft haben. Hier ist das erste Ziel eine vernünftige Gesundheitsvorsorge und nicht eine private Gewinnerwartung zu erfüllen. Schlecht ist, dass durch das bestehende Abrechnungssystem über Fallpauschalen vor allem die Bereitstellungskosten für unsere Kliniken nicht gedeckt sind, so dass unsere Kreise in den letzten Jahren Millionenbeträge für den Defizitausgleich ihrer Häuser aufwenden mussten. Das System der Fallkostenpauschalen führt zu einer Benachteiligung des ländlichen Raumes, weil aufgrund der geringeren Bevölkerungsdichte weniger OPs stattfinden und sich die Kliniken also schlechter refinanzieren können. Gleichzeitig müsste für den ländlichen Raum eine Bereitstellungspauschale für Krankenhäuser eingeführt werden, um ein zusätzliches Standbein für die Krankenhausfinanzierung zu schaffen. Diese Forderung ist auf Vorschlag der nordfriesischen SPD in das Bundestagswahlprogramm aufgenommen worden.
Die ärztliche Versorgung im ländlichen Raum verändert sich gerade. Verstärkt setzen Kommunen auf die Einrichtung medizinischer Versorgungszentren, in denen mehrere Mediziner und Medizinerinnen mit einer Apotheke, Physiotherapeuten und einem Sanitätshaus zusammenarbeiten. Dadurch entstehen auch für Medizinerinnen attraktivere Rahmenbedingungen für eine Tätigkeit auf dem Lande. Beispiele für diese Entwicklung sind die Städte Garding und Lunden, die gerade MVZs errichten lassen.
Die Coronakrise hat im letzten Jahr noch einmal bewusst werden lassen, wie wichtig eine ausreichend bemessene Pflege in Krankenhäusern, aber auch in der Altenpflege ist. Eine gute Aus- und Fortbildung, eine angemessene Bezahlung und eine deutlich höhere Anerkennung für diese Arbeit sind eine wichtige Voraussetzung, um in Zukunft genügend Nachwuchs für diese für uns so wichtige Berufsgruppe zu finden.
Im Coronalockdown wurde ja offensichtlich, dass nicht jeder Bürger Zugang zur digitalen Welt hat. Gerade in Schulen wurde dies in der Zeit des Distanzunterrichtes zu einer leidvollen Erfahrung. Wie wirst du dich im Bundestag für eine Aufarbeitung dieser Versäumnisse einsetzen?
Die Digitalisierung im ländlichen Raum muss konsequent weiter fortgesetzt werden, damit endlich überall gute Zugänge zur digitalen Welt geschaffen werden können. Vor allem die Umsetzung des Bundesprogramms für die Digitalisierung im Schulbereich hat insgesamt nicht schnell genug Fahrt aufgenommen.
Für die Aufarbeitung der Probleme und Versäumnisse in Zusammenhang mit der Coronakrise würde ich mich für die Einsetzung einer Enquetekommission einsetzen, damit amtlich untersucht werden kann, was schief lief. Darüber hinaus müssten Empfehlungen für eine bessere Pandemiebewältigung entwickelt werden.
Die Bundespolitik erlebt ja momentan eine turbulente Zeit. Mehrere CDU- Bundestagsabgeordnete sollen mit Geschäften im Rahmen der Maskenbeschaffung hohe Provisionszahlungen kassiert haben. Dieser Korruptionsskandal beschädigt das Ansehen aller Bundestagsabgeordneter und wird die vorherrschende Politikverdrossenheit gerade bei jungen Menschen eher verstärken. Wie siehst du dich selbst als Politiker und was willst du tun, um mehr Menschen und vor allem junge Menschen für Politik zu begeistern?
Der Skandal um die Provisionen für die Vermittlung von Geschäften zur Maskenbeschaffung hat im März eine Krise in der CDU/CSU ausgelöst, weil Politiker beider Parteien darin verwickelt waren. Inwieweit das zum Wahlzeitpunkt noch eine Rolle spielen wird, muss man sehen. Natürlich heizen solche Fälle dreister Vorteilsnahme die Politikverdrossenheit an, nicht nur bei jungen Menschen. Ich bin kein Berufspolitiker, mein bisheriges Engagement war immer ehrenamtlich. Da ist es besonders ärgerlich, wenn mit korruptem Verhalten den an sich konstruktiven Anliegen von Politik, Verhältnisse in unserer Gesellschaft vernünftig zu regeln, der Boden entzogen wird.
Junge Menschen können wir nur für Politik begeistern, wenn es gelingt, ihnen zu zeigen, das politische Entscheidungen etwas bewirken, für sie selbst und für die Gesellschaft als Ganze. Mich hat immer befriedigt, wenn ich erfahren habe, dass meine politischen Ideen und Vorhaben erfolgreich waren, wenn ich das Gefühl hatte, selbstwirksam und beteiligt zu sein. Das Wahlrecht 16 bei Bundestagswahlen ist deshalb eine wichtige Forderung, die wir in der nächsten Legislaturperiode unbedingt umsetzen müssen.
Was hat dich bewegt, dich kommunalpolitisch zu engagieren?
Eben habe ich es gesagt, etwas mitgestalten, beteiligt sein, selbst empfinden, dass das was ich mitentscheide uns hilft unser Leben und unsere Gesellschaft etwas besser zu machen. Als ich Schüler und später Student war, haben mich mehr die großen Themen interessiert, Theorien wie Herrschaft funktioniert, Freiheit und Gleichheit, Demokratie und Gerechtigkeit. Später war ich beruflich vor allem auf der Landesebene unterwegs und habe die Interessen junger Menschen aus den Jugendverbänden gegenüber der Landespolitik vertreten. Als ich nach meiner beruflichen Tätigkeit in Kiel wieder an die Westküste nach Witzwort gezogen bin, habe ich mich entschlossen, meine bisherigen Erfahrungen aus der Jugendpolitik in die Kreistagsfraktion der SPD Nordfriesland einzubringen. Dazu bin ich 2013 bewusst in die SPD eingetreten. Das war die richtige Entscheidung. Kommunalpolitik erdet sehr.
Bildung ist wohl unsere wichtigste Investition in die Zukunft. Was muss deiner Meinung nach noch in der Bildungspolitik passieren, um Chancengleichheit dauerhaft zu realisieren?
Bildung, eine gute Schulbildung, eine Ausbildung in einem Beruf oder ein Studium ist die zentrale Voraussetzung für ein zufriedenes Leben. Bildung ist in unserem Föderalismus Ländersache und das soll es auch bleiben, weil das am besten die Unterschiedlichkeit in Kultur und Wirtschaft zum Ausdruck bringt, um nur zwei wichtige Punkte zu nennen. Der Bund kann nur in sehr begrenztem Umfang auf die Bildungspolitik einwirken.
Zwei Punkte sind mir an dieser Stelle jedoch wichtig: Erstens eine deutliche Anhebung des Bafögs – das ist auch eine Frage der Chancengleichheit und zweitens die Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule. Ähnlich wie zu Beginn der 1990er Jahre mit der Einführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes der Rechtsanspruch auf eine Kindertagesbetreuung garantiert wurde, scheint jetzt der Zeitpunkt reif, die Ganztagsbetreuung in Deutschland mit Bundesunterstützung einzuführen. Der Bund will 4 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Das wird nicht reichen, ist aber eine gute Anschubfinanzierung und ermöglicht neben einer besseren Chancengleichheit für die Grundschulkinder jungen Frauen, die in der Regel gut ausgebildet sind, im Beruf tätig bleiben zu können. Der Grundschulganztag erleichtert Männern und Frauen mit Schulkindern einen besseren Ausgleich zwischen Familie und Beruf und trägt zur Lösung des Fachkräfteproblems in der Wirtschaft bei.
Was kann die SPD in der nächsten Wahlperiode, was andere Parteien nicht können?
Die SPD kann Übergang. Das hört sich im ersten Moment etwas theoretisch an, ist es aber nicht.
Als in den 1960er Jahren von der Bildungsmisere die Rede war, weil das dreigliedrige Schulsystem viel zu wenig Abiturienten hervorbrachte, war es die sozialdemokratische Bildungspolitik, die entscheidend half, den Bildungsnotstand zu beheben. Als den Menschen in den 80er Jahren weisgemacht werden sollte, dass ohne Atomkraftwerke das Licht ausgehen würde, war es die SPD, die auf den Übergang mit den Kohlekraftwerken setzte. Auch wenn die zu Recht inzwischen verpönt sind haben sie doch den Ausstieg aus der Atomenergie mit abgesichert. Inzwischen wird die Bundesrepublik bis spätestens 2038 aus der Stromgewinnung mit Kohle aussteigen, auch an diesem Kompromiss hat die SPD aktiv mitgewirkt Wenn es jetzt wieder um erhebliche Strukturveränderungen in einer unserer Schlüsselindustrien, der Automobilindustrie geht, wird es erneut die Sozialdemokratie mit den Gewerkschaften sein, die für die soziale Abfederung der erheblichen Lasten sorgen muss, die auf die Beschäftigen zu kommen. Diese Rolle haben weder die reinen Marktwirtschaftler von CDU/CSU und FDP noch die Grünen bisher erfolgreich ausfüllen können. Weder die Werte für die wir eintreten sind überholt, noch die Aufgaben, die wir anpacken müssen sind erledigt. Den Erhalt des wirtschaftlichen Aufschwungs und den Durchbruch nachhaltiger Zukunftstechnologien und eine Gesellschaft die durch sozialen Zusammenhalt geprägt ist, wird es nur mit einer starken SPD geben. Die nächste Mission liegt vor uns, die Bundestagswahl ist nur der Anfang, dann folgen die Landtagswahl und die Kommunalwahlen. Es braucht unseren Pragmatismus und die Zuversicht, dass wir wissen, was zu tun ist.